Erfahrungen in Bulgarien

Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, als Eva und ich in die Bahn nach Sofia stiegen, um unser Abenteuer zu beginnen. War es nicht erst letzte Woche, als wir kurzfristig noch Stöcke und Schuhe geliefert bekamen?

 

Nein, das kann nicht sein… sonst wäre ich jetzt nicht hier in Sofia, und mir würden nicht alle Muskeln weh tun. Die Datumsanzeige meiner Uhr sagt mir, wir seien bereits seit über drei Wochen in diesem wunderbar unberechenbaren Land… Unser System für die Routenplanung sagt mir, wir hätten bereits über 600 km zurückgelegt… Im Nachhinein betrachtet sind wir blauäugig gestartet, die Route im Kopf, die Ausrüstung auf dem Rücken. Bewusst haben wir uns nicht bis in das kleinste Detail vorbereitet, wollten wir doch eigene Erfahrungen machen. Und daran mangelte es bisher nicht…

Wasser als seltener Rohstoff

Vor uns liegt das Schwarze Meer, die natürliche Trennung zwischen Asien und Europa, und das einzige Wasser in Sichtweite. Leider mit einem zu hohen Salzgehalt, so haben wir das nicht geplant. Um unsere Vorräte aufzufüllen, sind wir die ersten Tage von anderen Menschen abhängig.

Zuerst hilft uns Vasil aus: Der ältere Harpunentaucher verbringt die Sommer hier im Wohnwagen. Früher war er Olympia-Schwimmer, heute spielt er Karten mit dem Leuchtturmwärter und den Soldaten der Kap-Kaserne. Seine Geschichte klingt nicht immer glücklich, dennoch wirkt er gelassen und zufrieden auf uns.

Ein anstrengender erster Tag liegt hinter, ein einsames Haus vor uns. Es scheint, als gebe der Besitzer gerade eine Feier. Kurzerhand nimmt Eva unsere leeren Behälter und nach einem kurzen Plausch darf sie diese am Gartenschlauch nachfüllen. Ihre Russisch-Kenntnisse sind von Vorteil, allerdings scheinen die Sprachen so unterschiedlich wie das Deutsche zum Holländischen. „In zwei bis drei Kilometern finden wir eine Wasserquelle“, versucht sie zu übersetzen.

Eine Stunde später haben wir Wasser… leider nur von oben und in Form von Hagel. Zitternd sitzen wir im nassen Zelt, Kochtopf und Schüsseln draußen aufgestellt, um das wertvolle Gut zu sammeln. Leider ist der Schauer zu stark, aufgeweichte Erde landet mit in den Gefäßen. Ein Jeep passiert uns am nächsten Morgen, der Fahrer schaut uns grimmig an, hilft aber dennoch mit seinem 10-Liter-Kanister aus.

Danach ist der Weg in unregelmäßigen Abständen gesäumt mit Trinkwasserbrunnen… Und wir freuen uns über jeden einzelnen davon.

Gewitter-Wetter

 

Am ersten Tag wandern wir im Sonnenschein. Der Himmel verdunkelt sich, als ich den letzten Hering in den Boden schlage. Im Zelt geht dann die Welt unter. Murmelgroße Hagelkörner schmettern auf unser temporäres Zuhause. Der lehmige Boden wird aufgeweicht, die Heringe geben nach und die Außenplane klebt am Innenzelt. Mit jedem Windstoß bekommen wir einen Sprühregen ab. Als das Unwetter weitergezogen ist, sichere ich das Zelt mit Abspannseilen… Lesson learned!

Eine Woche später besteige ich den Botev Peak, mit 2.376 Metern die höchste Erhebung des Balkan Gebirges. Kurz bevor ich das Plateau mit der Militärstation auf der Spitze erreiche, zieht sich hinter mir der Himmel zu. Die Sichtweite beträgt wenige Meter, während ich auf der anderen Seite ich meilenweit ins Tal schaue. Ich laufe den Berggrat entlang. Links von mir braut sich das Gewitter zusammen. Ein dünnes grummeln wird zu einem tiefen Donnern, Blitze erhellen die dunkle Wolkenwand. Rechts von mir: strahlendblauer Himmel. Das Gewitter überholt mich, trotz der düsteren Stimmung bekomme ich dennoch keinen einzigen Regentropfen ab.

Wiederum eine Woche später liege ich nach einem anstrengenden Tag in meinem Zelt, Eva ruht ihren überlasteten Fuß aus. Plötzlich wird es dunkel. Ich schaue kurz aus meinem Zuhause heraus und schaudere: Nicht weit von mir türmen sich Kumulonimbus-Wolken, die der kalte Wind stürmisch in meine Richtung bläst. Das Chaos beginnt. Ein paar einzelne Tropfen treffen das Zelt, ein paar dünne Lichtstrahlen erkenne ich als entfernte Blitze. Wenige Sekunden später ist der Boden gesäumt von Hagelkörnern. Der Donner nimmt die Lautstärke von Kanonenschlägen an, die Erde wackelt bei jedem Schuss. Alle fünf Sekunden ist es taghell. Im Schlafsack harre ich der Dinge. Meine Augen fallen zu, es war ein anstrengender Tag. Eine Stunde später erwache ich kurz: Ein abschließender Blitz, ein letztes Donnergrollen, und es herrscht Stille. Friedlich schlafe ich ein.

Menschen und Kultur

 

Ich werde gefragt, ob ich ein Glas zu meinem Bier möchte. Ich schüttle den Kopf. Daraufhin wird mir ein Glas hingestellt… In Bulgarien ticken die Uhren anders – nicken bedeutet ja, Kopfschütteln nein…Drei Wochen hier, aber mein Kopf versteht das immer noch nicht.

Wir erreichen das Dorf Kozichine. Das Schulgebäude ist eingefallen, seit Jahren nicht mehr nutzbar. Nicht schlimm, junge Menschen gibt es hier nicht. Die Besitzer des Mühlenhotels erzählen uns von Ihrem Leben und wie sie alles selbst aufgebaut haben. Die Kinder sind weggezogen, leben in größeren Städten. „Wir sind glücklich hier, es gibt alles, was wir brauchen“, erzählt uns der ältere Mann mit strahlenden Augen und einer inneren Ruhe. Danach schenkt er uns ein: Rotwein, gemischt mit einer übertrieben süßen Limonade… Es wird dauern, bis ich mich daran gewöhnen kann.

An der Mazalat-Hütte treffen wir auf Dimitar. Mit zwei Freunden feiert der bulgarische Juwelier auf 1.600 Metern seinen Junggesellen-Abschied. Das Gold für die Trauringe hat er selbst gesucht und verarbeitet. Kurzerhand lädt er uns auf seine Hochzeit ein, die am Samstag stattfindet. Zwei Tage später stechen wir hervor wie bunte Hunde: zwischen hübschen Kleidern, Sakkos und Anzügen mit Krawatten stehen wir da, verdreckten Wanderhosen, schlammige Stiefeln… selten fühlte ich mich so fehl am Platz. Die Braut und viele Gäste werfen uns einen irritierten Blick zu, Dimitar lächelt fröhlich: „Ihr seid wirklich gekommen, das freut mich!“. Uns wird ein Platz am hintersten Ende des Saals zugeteilt. Es beginnt eine Reihe von Volkstänzen, beim zweiten machen wir mit. Damit sind wir integriert: Mit uns wird getrunken, gelacht, gefeiert und wir fühlen und als Teil der Familie.

Projekte

 

Wandern, um Spenden für regionale Hilfsprojekte zu sammeln… eine spannende neue Erfahrung für mich.

Ohrenbetäubendes Gebell von über 1.500 Hunden begrüßt uns, als wir das Hundeheim in Sofia betreten. Rosalin empfängt uns. Sie arbeitet in der deutschen Botschaft ist als Freiwillige hier tätig. Liebevoll streichelt sie Marvel, der nach zwei Jahren Tierheim nach Deutschland vermittelt wurde und am Freitag ein neues Zuhause bekommt. Danach stellt sie uns Coliar vor: Ich bin den Tränen nahe, als ich ihn humpeln sehe. Er wurde von einem Auto angefahren, die Hüfte ist gebrochen, die Operation ist teuer. Ich streichle ihn und hoffe im Stillen, dass der mutige Kläffer bald wieder laufen kann.

Traurig und verlassen wirken die leeren Zimmer des Nebengebäudes einer Schule in Plovdiv auf mich. Vor drei Jahren abgebrannt, letztes Jahr neu aufgebaut. Für die Ausstattung war kein Geld mehr vorhanden. Ein direkter Gegensatz zu dem fröhlichen Kinderlachen, was uns von allen Seiten umgibt. Wir unterhalten uns mit Zana, der stellvertretenden Leitung der Schule für Kinder mit Behinderungen. „Ich hoffe, bald genug Geld gesammelt zu haben, um zumindest Tische und Stühle zu kaufen“, erklärt sie mit glänzenden Augen und warmer Stimme.

Wir treffen uns mit Katja und Charlotte in Veliko Tarnova in einer Pizzeria. Es gibt fünf Kinderzentren hier, ein Fußball-Turnier bringt heute alle zusammen. Aber zuerst dürfen wir den mobilen Service begleiten, der mehrmals in der Woche Spaß und Abwechslung in den Alltag der Kinder mit geringen bis schweren Behinderungen bringt. Katja kümmert sich um den Zusammenhalt der einzelnen Zentren und übergreifende Aufgaben, Charlotte lebt in London und sammelt Spenden. Mich fasziniert, wie liebevoll und „normal“ Eva und die beiden Frauen mit den Kindern umgehen, die gerade ihre bemalten Hände auf das Papier pressen, um mit den Abdrücken eine Sonne zu formen – ein bedeutungsvolles Symbol für die hier vorherrschende Wärme.